Unser Klimasystem besteht aus fünf eng verknüpften Bausteinen: Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre, Kryosphäre und Lithosphäre. Diese Komponenten beeinflussen sich ständig gegenseitig. Klimaänderungen hinterlassen dabei oft ihre Spuren in der belebten und unbelebten Umwelt, die zu jener Zeit mit dem Klima in Kontakt standen. Natürliche Elemente wie Gesteinsschichten, Eis oder Pflanzen können solche Veränderungen speichern und so als ″Zeitkapseln″ der Erdgeschichte dienen. In diesen natürlichen Archiven findet man physikalische, chemische oder biologische Merkmale, sogenannte Proxys, die indirekt Auskunft über vergangene Umweltbedingungen geben. Klima-Proxys sind somit wertvolle Stellvertreter, die Forschenden weltweit helfen, das Klima der Vergangenheit zu verstehen und zu rekonstruieren.
Klimaproxys lassen sich fast überall auf der Welt in vielfältigen Formen finden. Sie geben Einblicke in viele klimatische Veränderungen – von plötzlichen Ereignissen wie Vulkanaus-brüchen oder Überschwemmungen bis hin zu langfristigen Trends wie Erwärmung und Abkühlung, Trocken- und Feuchtperioden, Meeresspiegelanstiege oder Veränderungen des CO₂-Gehalts. Auch saisonale Phänomene wie Wirbelstürme oder Monsunzyklen können mit Proxys untersucht werden. Um die Vielfalt und wissenschaftliche Nutzung solcher Daten besser zu verstehen, stellt die US-amerikanische NOAA eine umfangreiche Datenbank mit über 10.000 Datensätzen bereit. Diese ist nach natürlichen Archiven geordnet und zeigt, in welchen Studien die Proxys verwendet wurden und woher diese stammen (siehe Abbildung 1). Hier geht’s zur Datenbank (siehe: Weitere Informationen zum Thema").

Bevor es im zweiten Teil vor allem darum geht, wie aus Klimaproxys quantitative Daten gewonnen werden, sollen jetzt zunächst einmal wichtige natürliche Archive und darin enthaltene Proxys vorgestellt werden.
1. Historische Dokumente:
Den Anfang soll eine besonders greifbare Form des Klimaproxys machen: historische Dokumente. Zwar zählen sie nicht zu den natürlichen Archiven und haben die kürzeste temporale Abdeckung, doch liefern sie oft unglaublich detailreiche und datierte Informationen, die für die Klimarekonstruktion unerlässlich sind. Je nach Region reichen solche Aufzeichnungen von wenigen Jahrhunderten bis zu mehreren Jahrtausenden zurück, wie etwa in China oder Mesopotamien. Neben direkten meteorologischen Beobachtungen – wie sie in Chroniken, Zeitungen, Briefen, Wettertagebüchern, Schiffslogs sowie Eisgangs- und Flussnotizen auftauchen – enthalten auch viele andere Schriftquellen wertvolle Klimaerkenntnisse, obwohl sie ursprünglich mit administrativen, religiösen oder politischen Hintergründen ganz andere Zwecke beabsichtigten. So liefern Verwaltungsdokumente wie Steuerlisten, Ernteberichte oder Marktpreisaufzeichnungen wichtige Hinweise auf Dürren, Missernten oder Überschwemmungen. Auch Kirchenbücher oder Grabinschriften verraten mitunter ungewöhnliche Klimaereignisse, etwa wenn eine Hungersnot oder ein extremer Winter im Zusammenhang mit Todesfällen erwähnt wird. Berühmte Beispiele zeigen, wie mächtig diese Quellen sein können. Das ″Jahr ohne Sommer″ 1816, ausgelöst durch den Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora, ist durch zahlreiche Briefe, Tagebücher und Zeitungsberichte dokumentiert. Sie berichten von Schnee im Juni, Ernteausfällen und Hungersnöten quer durch Europa. Oder auch das Magdalenenhochwasser von 1342, eine der schlimmsten Überschwemmungen Mitteleuropas, ausgelöst durch eine Vb-Wetterlage. Das Ausmaß ist dank Stadtchroniken und Pegelnotizen noch heute gut nachvollziehbar. Der Main und andere Flüsse erreichten damals enorme Abflussmengen und ihre höchsten jemals beobachteten Wasserstände.
2. Baumringe:
Die Analyse von Baumringen (Dendrochronologie) ist eine der bekanntesten Methoden, um das Klima der letzten rund 10.000 Jahre zu erforschen. Jeder Baum legt jedes Jahr einen neuen Ring an, der aus einem hellen Abschnitt für das schnelle Wachstum im Frühling und einem dunkleren für das langsamere Wachstum im Spätsommer besteht. Die Breite dieser Jahresringe zeigt, wie gut der Baum in einem bestimmten Jahr gewachsen ist – und gibt damit Hinweise auf die klimatischen Bedingungen von denen das Wachstum natürlich abhängt. In warmen und feuchten Jahren wachsen die Ringe breit, während sie in kühlen oder trockenen Jahren schmaler ausfallen. So lassen sich also Rückschlüsse auf vergangene Temperatur- und Niederschlagsmuster ziehen.
3. Gletschereis:
Mit Eisbohrkernen aus Gletschern oder großen Eismassen kann man sogar noch weiter zurück in die Vergangenheit blicken. Der längste lückenlose Eisbohrkern stammte bisher vom Dome C in der Ostantarktis und reicht etwa 800.000 Jahre zurück. Erst im Januar 2025 wurde nun ein 2.800 Meter langer und bis 1,2 Millionen Jahre zurückreichender Eiskern erbohrt. Bis dieser ausgewertet ist, wird allerdings noch etwas Zeit vergehen. Das Klima der Vergangenheit lässt sich bei diesem Proxy vor allem über das Verhältnis von Sauerstoffisotopen in den Eisschichten rekonstruieren. Isotope sind verschiedene Varianten eines Elements, die sich in der Anzahl der Neutronen und somit Masse unterscheiden, chemisch aber sehr ähnlich sind. Besonders wichtig ist das Verhältnis von 18O zu 16O: Während wärmerer Zeiten ist 18O häufiger im Wasserdampf, in kalten Perioden dominiert 16O. Welche atmosphärischen Prozesse diese Verteilung auslösen, wird in einem älteren Thema des Tages sehr detailliert beschrieben, welches unter dem folgenden Link zu finden ist: https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/11/11.html. Gletschereis besteht aus vielen Schichten von zusammengepresstem Schnee, in denen winzige, alte Luftbläschen eingeschlossen sind, die genau diese Isotope eingefangen haben. Sie können analysiert werden, um Rückschlüsse auf vergangene Temperaturen zu ziehen. Eisbohrkerne liefern aber auch Hinweise auf besondere, kurzfristige Ereignisse, etwa große Vulkanausbrüche. Diese hinterlassen Spuren wie Staub, Asche oder erhöhte Sulfatwerte im Eis, die sich ebenfalls messen und datieren lassen.
An dieser Stelle soll vorerst einmal ein Schlussstrich gezogen werden. Im zweiten Teil dieses Themas, der voraussichtlich nächste Woche erscheint, widmen wir uns dem wohl wichtigsten Archiv und allem was in ihm stecken kann: den Sedimentgesteinen. Außerdem werfen wir einen genaueren Blick darauf, wie aus den Proxy-Daten konkrete numerische Werte für weitere Berechnungen gewonnen werden – und welche Unsicherheiten mit dieser Form der Vergangenheits-Rekonstruktion verbunden sind. Bis bald!