Einleitung
Das Tornados auch in Deutschland jedes Jahr zu Schäden führen, ist kein Geheimnis. Tatsächlich gibt es jährlich im Schnitt 45 bestätigte Tornados in Deutschland, wie die Zahlen der letzten 25 Jahre zeigen.
Anfänger der Tornadoforschung
Das Phänomen des Wirbelwindes wird schon sehr lange auch in Deutschland untersucht. Die erste Vor-Ort Untersuchung eines Tornados stammt aus dem Jahr 1765. Der Theologe, Pädagoge und Naturforscher Gottlob Burchard Genzmer dokumentierte in Nordostdeutschland (Regionen rund um Feldberg und Woldegk) ein verheerendes Ereignis vom 29.Juni 1764 mit Hilfe von Augenzeugenbericht und Illustrationen auf Kupferplatten. Das Ereignis war einer von nur zwei Tornadofällen der stärksten Intensität F5, die für Deutschland dokumentiert sind.
Im Jahr 1850 wurde vom Naturforscher Charles Frédéric Martins Beobachtungskriterien zur Erfassung von Tornados in den Annalen der Physik veröffentlicht. Dies war quasi eine Checkliste zur Dokumentation von Wirbelwinden.
Im Jahr 1884 erschien zum ersten Mal die „Meteorologische Zeitschrift“ als wissenschaftliche Fachzeitschrift der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Meteorologischen Gesellschaften (DMG, ÖMG, SMG). In diesem Fachblatt wurden regelmäßig auch Kurzinformationen zu Tornadofällen veröffentlicht.
Im 20.Jahrhundert machte sich vor allem Alfred Wegener einen Namen, als er 1917 mit seiner umfangreichen Tornado Klimatologie ein eindrückliches Standardwerk zu Wind- und Wasserhosen in Europa lieferte. Weitergeführt wurden diese Arbeit unter anderem von Johannes Peter Letzmann im Jahr 1937, der Richtlinien zur Erforschung von Tromben, Tornados, Wasserhosen und Kleintromben lieferte. Dieses systematische Handbuch für Beobachter wurde im Auftrag der Deutschen Seewarte und der Meteorologischen Gesellschaft veröffentlicht. Deutschland war mit dieser Forschungsarbeit weltweit Vorreiter.

Nachlassende Interesse
In den fünfziger und sechziger Jahren schwand das Interesse an Tornados zusehend. Obwohl es auch und gerade in diesem Zeitraum viele Tornadomeldungen gab, wurde nicht weiter an dem Thema in Deutschland geforscht. Erst Anfang der 70er Jahre stieg das Interesse nach einigen starken Tornadofällen wieder an.
Neue Initiativen
Einen deutlichen Schub bekam das Thema Wirbelwinde dann Ende des 20 Jahrhunderts mit der Gründung des Netzwerks TorDACH, das 1997 federführend von Nikolai Dotzek ins Leben gerufen wurde und Informationen über Unwetterereignisse in Deutschland, Österreich und der Schweiz sammelte. Aus diesem Netzwerk erwuchs schließlich das europäische Unwetterlabor (European Severe Storms Laboratory, ESSL) als europäisches Forschungszentrum für Tornados. Das ESSL betreibt unter anderem die europäische Unwetterdatenbank ESWD (European Severe Weather Database), in der historische und aktuelle Unwettereignisse und Tornados dokumentiert werden.
Nikolai Dotzek war es auch, der im Jahr 2000 eine neue umfangreiche Klimatologie von Tornados in Deutschland veröffentlichte.
Parallel zu ESWD werden seit 1999 in der von Thomas Sävert gegründeten Tornadoliste neben den bestätigten Fällen auch Tornadoverdachtsfälle dokumentiert.
Anstieg der dokumentierten Zahlen ab etwa 2000 und die Gründe
Um die Jahrtausendwende machten die Tornadofallzahlen einen Sprung nach oben. Das lag aber nicht, wie man vermuten könnte, an einer tatsächlichen Zunahme der Tornados in Deutschland. Vielmehr haben mehrere Faktoren dazu beigetragen, dass aufgetretene Fälle bekannter wurden. Da wäre zum einen der Start des Internets im Jahr 1994, das 1998 Massentauglichkeit erlangte. 2001 startete zudem die Digitalfotografie. Spätestens mit dem Start des Massenmarktes von Smartphones Ende der 2010er Jahre konnte quasi Jedermann Tornados fotografieren und filmen, und diese Aufnahmen im World Wide Web verteilen. Die aufkommenden sozialen Medien unterstützten diese Entwicklung noch zusätzlich.


Neue Projekte
Daneben wurde im Oktober 2003 Skywarn Deutschland gegründet. Mitglieder sind unter anderen Sturmjäger (Stormchaser), die Gewittern hinterherfahren und mit ihren Bildern Unwetterereignisse und auch Tornados dokumentieren und unter anderem auch an den Deutschen Wetterdienst weitergeben. Mittlerweile gibt es noch viele andere Chaserorganisationen, mit denen der DWD im Austausch steht (u.a. Thüringer Stormchaser (TSC), Unwetterfreaks oder Team B.L).
Im April 2015 ging aus Skywarn die Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland (TAD) hervor. Diese Gruppe aus Meteorologen, Forstwirten, Mathematikern und Laien arbeitet Verdachtsfälle auf und schaut welche Verdachtsfälle sich bestätigen lassen.
Ein weiteres interessantes Projekt ist TorKUD (Tornado Kartierungs- und Untersuchungsprojekt Deutschland), das 2020 federführend von Hendrik Sass ins Leben gerufen wurde. Dieses ehrenamtliche Projekt untersucht Verdachtsfälle, in dem sie Informationen aus der Öffentlichkeit und von Feuerwehren sammelt, Satellitenbilder anschaut und zum Teil auch selbst Vor-Ort Analysen mit Drohnen durchführt. Diese Initiative brachte eine enorme Bereicherung bei der Erfassung und Dokumentation von Tornadofällen in Deutschland.
Entwicklungen im DWD
Auch innerhalb der DWD hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Nachdem das Thema viele Jahre von Andreas Friedrich als Tornadobeauftragten betreut wurde, gründete sich nach seiner Pensionierung die Tornado Expertengruppe, bestehend aus sieben interessierten Vorhersagemeteorologen. Dies Gruppe unterstützt bei der Erfassung und Vorhersage von Tornados, steht in Kontakt mit Medien oder muss im Schadenfall auch Auskunft für Versicherungen geben. Daneben wird aber auch Forschung betrieben. Neben diversen Vorträgen auf Fachveranstaltungen, gibt es auch wissenschaftliche Veröffentlichungen. So wurde ganz frisch ein wissenschaftliches Paper zur Tornadostatistiken in Deutschland akzeptiert und demnächst in der Meteorologischen Zeitschrift veröffentlicht. Diese Veröffentlichung ist nach über 25 Jahren ein Update der Arbeiten von Nikolai Dotzek aus dem Jahr 2000.


Aktueller Stand
Die jüngste Entwicklung stellt eine noch engere Kooperation der verschiedenen Experten auf einer Kommunikationsplattform im Internet dar. Dort arbeiten seit diesem Jahr Vertreter der TAD, ESWD, TorKUD und die Tornadoliste mit den Mitarbeitern der Tornado Expertengruppe des DWD zusammen. Ziel ist es, dass jeder immer aktuelle und gleiche Informationen hat. Dies macht die Erfassung und Bestätigung von Verdachtsfällen deutlich einfacher und schneller. Dies geschieht unter anderem mit einer Checkliste mit objektiven Kriterien zur Bestätigung. Für die Bewertung der Stärke der Ereignisse wird dabei die vom ESSL entwickelte internationale Fujita Skala (IF) herangezogen (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2024/4/11.html).
Man sieht, dass sich gerade in den letzten 25 Jahren sehr viel getan hat auf dem Gebiet der Tornadoforschung und -dokumentation in Deutschland. Wenn Sie selbst einmal einen Tornadoverdachtsfall haben, erreiche Sie die Expertengruppe des DWD unter tornado@dwd.de.